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Montag, 25. Juli 2011

Gib mir ein Leitbild




Anders Behring Breivik – den Namen des Attentäters von Oslo werden wir wohl so schnell nicht vergessen. Dafür sorgen auch schon die Medien, die jetzt darüber rätseln, was den 32-jährigen Norweger zu seiner Bluttat getrieben haben könnte und woher seine krude Weltsicht stammt. An diesen Spekulationen will und kann ich mich nicht beteiligen. Weder habe ich Breiviks 1.500-Seiten-Manifest gelesen, noch kenne ich seinen sozialen Hintergrund. Aus dem, was bisher bekannt geworden ist und auch aus dem Faktum der Tat lässt sich schließen: Der junge Mann war von Hass zerfressen. Damit ist er aber nicht allein auf dieser Welt. Manche Menschen, denen es geht wie Breivik, ballen nur die Faust in der Tasche oder nutzen einen unbeobachtet geglaubten Moment, um einem Schwächeren, der in ihr Raster passt, eins drüberzuziehen oder schädigen ihn auf legalem Wege. Andere schließen sich radikalen Parteien an und bewehren sich im Straßenkampf oder gern auch in einem richtigen Krieg und wieder andere binden sich einen Sprengstoffgürtel um den Bauch, gehen zum Shopping und ziehen die Reißleine. Breiviks Tat passt aber nur bedingt in diese Schemata. Zwar ist bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar, ob er tatsächlich der Einzeltäter ist, der zu sein er vorgibt, aber sicher lässt sich sagen, dass der Norweger nicht nur ein bisschen Terror machen und ein Zeichen setzen wollte, sondern Größeres vorhatte. Er wollte zum Märtyrer werden. Ob dieser Plan aufgeht, wird die Zeit zeigen.
Anhand der Ideologiefragmente, die aus seinem Manifest und den kunstvoll organisierten virtuellen Spuren bekannt sind, lässt sich Breivik wohl ins rechtsradikale Spektrum einordnen. Ehrlich gesagt ist es aber auch völlig egal, welche konkrete Ideologie dieser Mann vertritt. Im Zeitalter der Informationstechnik lassen sich für jede Art von Vorstellung Quellen und Bezugspunkte finden, die man dann nach Belieben zur eigenen Weltanschauung zusammensetzen kann. Ein konsistentes Weltbild, so wie sich das wohl Viele vorstellen, wird wohl kein einziger Mensch mehr haben, zumindest nicht in dem Teil der Welt, die wir als westliche Zivilisation beschreiben. Meist ist das Ergebnis dieses Ideologiepatchworks harmlos, bestenfalls putzig, manchmal aber auch hochexplosiv.
Breivik stellt sich mir als ein Mensch dar, der Handlungsbedarf gesehen hat, weil die Welt, so wie sie sich ihm darstellte, verderbt und krank war. Wie die meisten Menschen wird er sich wohl auch machtlos gefühlt haben, weil seien wir ehrlich: Was können wir als Einzelne schon verändern? Zumindest auf die Schnelle und ohne kontinuierliche Arbeit nicht allzu viel. Wahrscheinlich hat der junge Mann auch keinen allzu großen Freundeskreis gehabt, der ihn entweder korrigierte oder bei der Erreichung seiner Ziele unterstützte, so dass er der Meinung war, er müsse ein Fanal entzünden. Denn das ist die Option, die jeder Einzelne immer hat – unter Einsatz seines Lebens etwas Destruktives, Tragisches, Erschreckendes auszuführen. Sei es der Flug in ein Hochhaus, der Mord an einem hochrangigen Politiker oder die Selbstsprengung auf einem belebten Platz. Zwar hat man meist selbst nichts mehr von diesem Ereignis, weil man ja im Normalfalle die Reaktion nicht mehr mitbekommt, aber zumindest stirbt man im dem (höchstwahrscheinlich falschen) Bewusstsein: Denen habe ich’s nochmal so richtig gezeigt!
Bei Breivik liegt der Fall anders. Der hatte offensichtlich nie die Absicht, sich umzubringen. Als die Elitepolizisten auf der Insel ankamen, gab er sich sofort gefangen. Das spricht dafür, dass er seine „Mission“ noch nicht als beendet sieht, im Gegenteil. Der massenhafte Mord war nur das Vorspiel, das ihn als Mensch hoher Konsequenz zeigen sollte. Wer ohne Zögern Kinder und Jugendliche aus dem Lager des politischen Gegners erschießt, der meint es ganz sicher ernst und ist kein Schwätzer. Jetzt hat Breivik also die Aufmerksamkeit der Mediengesellschaft, die er gezielt mit Informationen über seine Weltsicht gefüttert hat und wenn er ein Podium bekommt, wird er in Länge und Breite seine Weltanschauung erläutern – wie Hitler dies nach dem Prozess zum gescheiterten Bürgerbräu-Putsch tat - und sich zum Märtyrer stilisieren, der all denen, die so denken, wie er, ein Signal gegeben hat, endlich aktiv zu werden. Wie heißt es in seiner einzigen(!) Twitter-Meldung: „One person with a belief is equal to the force of 100 000 who have only interests.” (Auch hier zeigt Breivik, dass er die Neuen Medien hervorragend verstanden hat. Statt tausenden Plapper-Botschaften hinterlässt er genau ein Zitat.) Mit anderen Worten: Steht auf und tut etwas, Ihr habt die Macht!
Breiviks Ziel war es zu polarisieren und das ist ihm mit Sicherheit gelungen. Höchstwahrscheinlich jedoch anders, als er gedacht hat. So wie die RAF sich verrechnete, als sie glaubte, die Menschen würden sich gegen einen zunehmend faschistisch agierenden Staat wenden und nicht gegen die Verursacher des Terrors, so könnte sich der Norweger verkalkuliert haben. Denn das, was er für Konsequenz hält, ist sicher auch vielen ihm politisch nahestehenden Menschen mindestens eine Nummer zu krass. Wehrlose Kinder und Jugendliche umbringen, beißt sich sicher auch mit den moralischen Vorstellungen der meisten Rechtsradikalen, zumindest, wenn es sich um „rassisch einwandfreie“ Kinder und Jugendliche handelt.
Zum Abschluss noch ein paar Anmerkungen zur Bewertung der Bluttat – der Begriff der Moral ist ja bereits gefallen. Wir gehen leider sehr leichtfertig immer davon aus, dass unsere Moral – den Begriff möchte ich hier im Sinne von Wertvorstellungen gebrauchen - allgemeingültig ist. Fakt ist jedoch, dass es sich dabei um ein Konstrukt handelt, dass in manchen Bereichen sicher seine Eignung erwiesen hat, in anderen jedoch rein willkürlich ist. Und noch weniger ist Moral „gottgegeben“ oder ein Naturgesetz. Jeder Mensch hat somit die freie Wahl, sich außerhalb diese Moral zu stellen, selbstverständlich mit der Konsequenz, dass er/sie dann außerhalb der Gesellschaft steht und z.B. selbst keine Schonung, kein Verständnis oder Hilfe erwarten kann. (Eine humanistische Gesellschaft wird diesem Menschen aber trotzdem zumindest ein Stück weit zu integrieren versuchen.)
Da ich nicht an ein Leben nach dem Tod glaube, gehe ich davon aus, dass Menschen ausschließlich hier auf Erden mit den Folgen ihrer Taten leben müssen. Breivik wird sicher niemals mehr aus dem Knast rauskommen und ich denke, das war ihm klar. Selbst wenn er keine Schuldgefühle an sich heranlässt, wird er den Hass seiner Umwelt spüren. Damit muss er nun leben. Ob er sein Ziel, einen Aufstand gegen den „Kulturmarxismus und Multikulti“, erreicht, ist eher fraglich. Sicher wird es wie Charles Manson einige „Fans“ haben aber irgendwann wird ihm wohl aufgehen, dass er nicht nur das Leben von zig Menschen zerstört, sondern auch sein eigenes weggeworfen hat. Und wofür? Wir müssen uns fragen, in was für einer Gesellschaft wir leben, die Menschen wie Breivik hervorbringt…